Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften

Neuartige Oberflächensupraleitung in topologischem Material entdeckt

05.12.2024|17:15 Uhr

Ein Permanentmagnet schwebt auf einem Supraleiter – ein Phänomen, das die Besonderheit der Supraleitung mit bloßem Auge erkennbar macht. (Bild: Julia Besproswanny/BUW)

Ein internationales Forschungsteam der Bergischen Universität Wuppertal, dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden, der Universidad Nacional de Cuyo in Bariloche, Argentinien und der Bar Ilan Universität in Israel hat eine wegweisende Entdeckung gemacht: In dem topologischen Material Platinbismut (PtBi₂) mit trigonaler Kristallstruktur wurde eine neuartige Form von Supraleitung nachgewiesen. Die Ergebnisse wurden in den renommierten Fachzeitschriften „Nature Communications“ und „Advanced Physics Research“ veröffentlicht und eröffnen beeindruckende Perspektiven für die Grundlagenforschung und zukünftige technologische Anwendungen, etwa im Bereich des Quanten-Computings.

Supraleitung und Topologie vereint

Seit ihrer Entdeckung vor über hundert Jahren fasziniert das Phänomen der Supraleitung die Forschung. Sie ermöglicht beispielsweise verlustfreie elektrische Stromleitung und ist essentiell für Anwendungen wie supraleitende Magnetspulen oder Quanteninterferometer, die für hochempfindliche Magnetfeldmessungen eingesetzt werden.

Eine andere, wesentlich später entdeckte Klasse von Materialien sind sogenannte topologische Festkörper. Ihre Erforschung reicht zurück zum berühmten Quanten-Hall-Effekt und konzentriert sich heute auf intrinsisch topologische Festkörper, darunter topologische Isolatoren und Weyl-Halbmetalle. Charakteristisch für diese Systeme sind Rand- oder Oberflächenzustände, die durch die Volumeneigenschaften definiert und besonders stabil gegenüber äußeren Störungen sind. Man sagt, diese Rand- oder Oberflächenzustände seien topologisch geschützt

Erstmals gelang es nun, beide Phänomene in einem Material zu vereinen. Die Wissenschaftler*innen der oben genannten Institutionen konnten zeigen, dass PtBi₂ in trigonaler Kristallstruktur nicht nur supraleitend ist, sondern diese Supraleitung ausschließlich an der Oberfläche auftritt – eine außergewöhnliche Entdeckung.

Ungewöhnlich robuste Supraleitung

Hochreine Kristalle dieser Verbindung wurden zunächst synthetisiert und anschließend mit hochauflösender Raster-Magnetometrie und Rastertunnelspektroskopie bei tiefen Temperaturen untersucht. Dabei wurden nicht nur hochauflösende Bilder der atomaren Oberflächenstruktur (Abb. 1, links) gewonnen, sondern auch Hinweise auf eine ungewöhnliche Supraleitung (Abb. 1, rechts) entdeckt.

Bemerkenswert ist, dass die Supraleitung laut den Daten einerseits nur an der Oberfläche des Materials auftritt und andererseits durch eine ungewöhnlich große Energieskala bestimmt wird. Die sogenannte Energielücke der Supraleitung beträgt etwa 10 Millielektronenvolt (meV) (siehe Abb. 1, rechts) – ein Wert, der typischerweise nur bei Hochtemperatur-Supraleitern auftritt. Darüber hinaus zeigt die Supraleitung in PtBi₂ eine außergewöhnliche Stabilität in hohen Magnetfeldern, was auf eine besondere Robustheit hinweist. Diese Arbeiten wurden im Journal Nature Communications veröffentlicht [1].

Bestätigung durch theoretische Berechnungen

In einer zweiten Studie wurden die gleichen Kristalle mittels Rastertunnelmikroskopie auf ihre topologischen Eigenschaften untersucht und mit theoretischen Vorhersagen verglichen. Dabei wurden die räumlichen Interferenzen der Elektronenwellen auf der Oberfläche des Materials bei tiefen Temperaturen ausgemessen.

Den theoretischen Berechnungen zufolge sollten diese Interferenzmuster ihren Ursprung in den oben genannten Oberflächenzuständen eines Weyl-Halbmetalls haben und spezifische Charakteristika aufweisen, die nur durch sogenannten Fermi-Bögen auf der Materialoberfläche erklärt werden können. In der Tat zeigt die Auswertung der Interferenzdaten eine exzellente Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment (siehe Abb. 2), wodurch die topologische Natur der Oberfläche in diesem Material bestätigt wurde. Diese Arbeiten wurden kürzlich im Journal Advanced Physics Research publiziert [2].

Perspektiven für das Quanten-Computing

"Die Ergebnisse könnten weitreichende Konsequenzen für die Quantenphysik haben. Zukünftige Forschung wird zeigen, ob die Supraleitung selbst topologische Eigenschaften besitzt", so Prof. Dr. Hemker-Hess. "Sollte dies der Fall sein, könnten sogenannte Majorana-Fermionen auftreten, die eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Quantencomputern spielen".

Die Entdeckung in PtBi₂ markiert einen wichtigen Meilenstein in der Materialforschung und bietet spannende neue Einblicke in das Zusammenspiel von Supraleitung und Topologie.

 

Kontakt:

Prof. Dr. Christian Hemker-Heß
E-Mail: c.hess@uni-wuppertal.de | Telefon: +49 202 439-3100

 

Veröffentlichungen:

[1] Sebastian Schimmel, Yanina Fasano, Sven Hoffmann, Julia Besproswanny, Laura Teresa Corredor Bohorquez, Joaquín Puig, Bat-Chen Elshalem, Beena Kalisky, Grigory Shipunov, Danny Baumann, Saicharan Aswartham, Bernd Büchner, Christian Hess, Surface superconductivity in the topological Weyl semimetal t-PtBi2, Nature Communications 15, 9895 (2024), https://doi.org/10.1038/s41467-024-54389-6

[2] Sven Hoffmann, Sebastian Schimmel, Riccardo Vocaturo, Joaquin Puig, Grigory Shipunov, Oleg Janson, Saicharan Aswartham, Danny Baumann, Bernd Büchner, Jeroen van den Brink, Yanina Fasano, Jorge I. Facio, and Christian Hess, Fermi Arcs Dominating the Electronic Surface Properties of Trigonal PtBi2, Advanced Physics Research 2400150 (2024), https://doi.org/10.1002/apxr.202400150

Abb. 1a: Atomar aufgelöste Topographieaufnahme der Oberfläche von PtBi2, gemessen bei 30 mK. Die hellen Punkte entsprechen den Positionen der obersten Lage von Bi-Atomen. 

Abb. 1b: Tunnelspektroskopische Messung der differentiellen Leitfähigkeit dI/dVB von trigonalem PtBi2 als Funktion der Tunnelspannung VB (schwarze Punkte) bei 5 K. Die rote Linie stellt eine Anpassung an einen theoretischen Verlauf dar. Die Energielücke der Supraleitung ergibt sich aus dem halben Abstand der beiden Maxima.

Abb. 2: Direkter Vergleich der elektronischen Interferenzmuster von PtBi2 in einer Fourier-Analyse der in der Interferenz auftretenden Wellenlängen. Linke Hälfte: Experiment, Rechte Hälfte: Theorie. Pfeile zeigen die Position dominanter Strukturen an.

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